THE CREW – Folge 783 Helge T.
Helge ist einer unserer aktuellsten Neuzugänge und verstärkt unsere Mannschaft auf Zeugwartseite. Dabei nutzen wir die Vorteile einer Leihe, da unser Budget die Möglichkeiten eines Transfers nicht hergibt. Außerdem hat er sich vertraglich ein ausdrückliches Teilnahmerecht an Veranstaltungen wie Rock am Kuhteich und Rock am Berg zusichern lassen. Auch da verstärkt er das Team nach Kräften. Ja, manchmal sind wir zu unverhältnismäßigen Zugeständnissen bereit, auch ohne zahlungskräftige Oligarchen im Rücken. Das muss sich einfach lohnen. Andere Stimmen sprechen davon, dass dem BTF von Seiten des RAK & RAB ein faules Ei ins Nest gelegt wurde und so den Expansionsbestrebungen endlich Einhalt geboten werden soll.
Wie ihr dem eingeschlagenen Ton entnehmen könnt, bewegen wir uns mit Helge im Bereich des Sportes. Passt, schließlich spielt sich das Back To Future auf dem Reitplatz ab, ambitionierte BTF-Besucher testen ihre Fitness auf der 100-Meter-Bahn des Waldbades und die Crew lässt die Seele im Sportlerheim baumeln. Hier kennt sich Helge aus, hier fühlt er sich wohl. Denn er arbeitet in seinem regulären Job beim Landessportbund Sachsen-Anhalt und beschäftigt sich dort mit Fällen von Diskriminierungen, Rassismus, neofaschistischen Erscheinungen und Gewalt und deren Aufarbeitung. Außerdem ist er im Konfliktmanagement tätig, was z. B. Dinge wie Mobbing beinhaltet. Spannend.
BTF: Sachsen hat ein riesiges Problem mit Faschismus in ganz vielen Teilen der Gesellschaft. Im Sport findet sich das nicht nur beim grölenden Fußballfan, sondern in ganzen Fußballmannschaften, beim engagierten Trainer oder innerhalb einer Vereinsführung. Ich befürchte, das wird in Sachsen-Anhalt nicht anders sein. Kannst zumindest du von Erfolgen im Kampf gegen diese unsäglich menschenverachtende Ideologie berichten?
HT: Aber sicher. Zunächst, dieses Problem ist weder ein sächsisches, noch ein ostdeutsches. Wir haben es damit deutschlandweit zu tun, sogar europaweit. Aber bleiben wir mal in unserer Region. 2015 wurde bundesweit erstmalig ein Fußballverein sowohl aus dem Fußballlandesfachverband, als auch dem Landessportbund (LSB) Sachsen-Anhalts ausgeschlossen. Um es rechtssicher zu machen, erfolgte der Ausschluss zwar wegen „Gewalttätigkeiten“ seiner Vereinsmitglieder, meines Erachtens waren diese jedoch eindeutig Hooligans mit rechtsextremer Einstellung. Wie es so schön heißt: „Die Gedanken sind frei“, also kann im Vereinsrecht niemand ohne weiteres wegen seiner Einstellung ausgeschlossen werden, leider. Deshalb ist es oft mühselig, gegen die von dir genannten Einstellungen vorzugehen. Zu oft herrscht eine Mentalität des Wegschauens und Weghörens. Anders zum Beispiel beim Jiu-Jitsu, hier wird klare Kante gezeigt und gehandelt. Bei den Trainerausbildungen ist Sensibilisierung zum Thema Rechts fester Bestandteil. Dies ist umso wichtiger, als das gerade der Kampfsport immer wieder im Fokus steht. Mein Plädoyer: Nicht der Kampfsport ist rechtsextrem, aber Einzelne versuchen sich „Fit zu machen für den Straßenkampf/den Tag X“. Vielfach haben inzwischen unsere Vereine das im Blick und handeln adäquat. Dabei beraten sie sich oft mit Menschen wie meinen Kolleg*innen und Kollegen. Der größte Erfolg? Seit 2011 stellen sich die ostdeutschen Landessportbünde ihrer Verantwortung! Und seit 2017 sind auch etliche westdeutsche Landessportbünde direkt am Thema.
BTF: Diskriminierung nimmt im subkulturellen Kontext als Thema inzwischen einen breiteren Raum ein. Sie betrifft ganz viele Menschen und je mehr Betroffene ihre Erlebnisse schildern, umso deutlicher wird der Umfang und die Notwendigkeit der Veränderungen. Da haben wir auch noch einiges an Arbeit vor uns. Der Sport ist zum Teil recht hierarchisch strukturiert. Vorteil oder Nachteil im Umgang mit diesen Aufgaben?
HT: Oh ha, da machst du ja ein Thema auf! Soll ich da eine Masterarbeit abliefern? Vom Umfang ginge das ganz sicher. Ich versuch`s mal kurz. Sowohl als auch. Vorteilhaft ist, dass die Beschäftigung mit Diskriminierungen „angeordnet“ werden kann. Das Thema ist zum Beispiel in nahezu jeder Trainer-/Übungsleiterausbildung integriert (hier kann ich nur für Sachsen-Anhalt reden). Damit besteht die Chance, die Menschen „in vorderster Linie“ sensibel zu machen, damit sie Diskriminierungen erkennen und ihnen Methoden an die Hand zu geben, diesen zu begegnen. Nicht selten geschehen Diskriminierungen gedankenlos, unreflektiert und nach dem Motto „das haben wir doch immer schon so gemacht“. Einfaches Beispiel, das wohl jeder kennt: Wir wollen ein bisschen kicken, also schnell zwei Mannschaften gebildet, zwei Menschen wählen. Wer bleibt ganz zum Schluss? Der kleine Dicke! Unter dem sportlichen Aspekt „wir wollen gewinnen“ vielleicht verständlich, aber unter dem menschlichen Aspekt? Wer denkt schon darüber nach, wie es in dieser Situation dem „kleinen Dicken“ geht? Übrigens stelle ich sehr oft bei Aus- und Weiterbildungen die Frage „Bist du schon einmal diskriminiert worden?“. Antwort: über 90% der Frauen sagen ja, maximal 10% der Männer beantworten die Frage mit ja. Meines Erachtens nach hat das was mit unserer Prägung á la „bist du ein Mann oder was?“ zu tun, denn wenn ich dann tiefer nachfrage, verändert sich die Prozentzahl bei den Männern auch ... Okay, wo Licht ist, ist auch Schatten. Hierarchie kann sehr schwierig sein. Ich schätze Ehrenamt sehr (ohne das nun mal im Sport nix geht), aber wer kennt ihn nicht, den 75-jährigen Vereinsvorsitzenden, der meint, unersetzlich zu sein und dem bei dem Wort „Jugendbeteiligung“ das Gesicht entgleitet? Auch wenn ich mir jetzt keine Freunde mache, aber ist eine Mannschaftsaufstellung durch den Trainer zuweilen nicht per se Diskriminierung? Daraus ergibt sich eine gewisse systemimmanente Diskriminierung, denn im Regelfall ist im organisierten Sport alles dem „Sieg“ untergeordnet. Anders im Freizeitsport, wo es „nur“ um Fun und Bewegung geht. Du merkst, ein RIESENTHEMA. Gar nicht angesprochen habe ich jetzt die Diskriminierungen der LGBTQ-Community, beispielhaft von transgender Menschen...
BTF: Mit deinem fachlichen Blick auf Veranstaltungen wie das RAK, RAB oder BTF. Gibt es aus deiner Sicht Gründe, warum Gewalt im Gegensatz zu deinem beruflichen Alltag hier eher kein Thema ist?
HT: Hmmm, nun wieder so ‘ne Frage, oder These, die ich so gar nicht teilen kann. Zunächst bitte ich darum, aufmerksam zu sein, dass es nicht nur körperliche Gewalt gibt. Für Betroffene ist psychische, beispielsweise verbale Gewalt mindestens genauso schlimm. Aber ich bleibe erstmal bei deinem positiven Ansatz. Nun, wir bewegen uns bei diesen Festivals im Regelfall in einer Gruppe Gleichgesinnter, das einende Element ist die Musik und eine gewisse Einstellung. Nicht zu vergessen, alle wollen Spaß haben. Damit ist zunächst eine hocheskalierende Konfrontation aus politischen Einstellungsgründen oder ähnliches ausgeschlossen. Man bewegt sich gewissermaßen in einem geschützten Raum. Dem gegenüber steht der Alkohol und damit „das Ausschalten des Kopfes“. Frag doch mal, wie viele Frauen zum Beispiel auch auf diesen Festivals bereits sexuelle Übergriffe erlebt haben. Und nein, das sind nicht nur Vergewaltigungen, sondern auch der vermeintlich „zufällige“ Griff an den Po und die verbalen Übergriffigkeiten. Haben wir auf den Festivals ein wirklich funktionierendes System, in dem sich Betroffene Hilfe suchen können? Da ich ein faules Ei bin, verbreite ich mal in diese Richtung etwas Gestank.