THE CREW – Folge 783 Marika TW.
Ihr habt es sicher bemerkt. Wir haben einen sehr engen Bezug zu Roßwein. Dort gibt es nicht nur das Jugendhaus, sondern auch ‘ne Reihe besonderer Menschen. Zum Beispiel eine ganz famose Friseurmeisterin – eine warmherzige Person, die mit ihren beiden bezaubernden Töchtern seit vielen Jahren unser Festival unterstützt. Sie hat die Haare der einen wie die Locken des anderen unter ihren Fittichen. In solcher Wohlfühlatmosphäre entspinnen sich Gespräche und Ideen. Gedanken gehen auf Reisen. Und plötzlich hatten wir eine gestandene Politikerin im Team.
Marika, Mama zweier Töchter und diplomierte Soziologin, hat einen sehr straighten Weg hinter sich. Über ein Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung landet sie als Praktikantin der Fraktion der Linken im Europaparlament. Sie folgt Ausschusssitzungen in englischer und französischer Sprache, verteidigt eingebrachte Anträge der Partei und pendelte lange Zeit zwischen Brüssel, Straßburg, Berlin und Sachsen. Schnell öffnen sich für sie weitere Türen. Inzwischen sitzt sie im sächsischen Landtag und hat beste Verbindungen nach Berlin.
Wisst ihr, was für Marika inzwischen zur liebgewonnenen Gewohnheit geworden ist, wenn sie nach dem Festival wieder daheim ist? Das Konterbier. Damit zeigt sie eine der wichtigsten Eigenschaften, um im beinharten Business der Berufspolitik bestehen zu können – Volksnähe. Um sie braucht es uns nicht angst zu werden.
BTF: Als Pressesprecherin für Gregor Gysi war dein Fokus zuletzt auch wieder auf Brüssel gerichtet. Du hast einige Jobs in der Richtung gemacht. Geht es dabei in erster Linie um Arbeit erledigen oder stehen strategische Gedanken im Vordergrund, um Politikerhandwerk zu erlernen? Abläufe verstehen, Netzwerke aufbauen, Allianzen schmieden?
MTW: Die Politik auf europäischer Ebene wird für mich immer von besonderer Bedeutung sein. Es macht schon einen Unterschied, ob man nur über Europa als etwas Abstraktes spricht, oder in Brüssel lebt und in den EU-Institutionen arbeitet. In meiner Erfahrung, die ich auf verschiedenen Ebenen, ob Kommune, Kreis, Bund oder eben auf europäischer Ebene sammeln konnte, war meine Tätigkeit immer sehr facettenreich. Von klassischen organisatorischen Aufgaben über inhaltliche Beiträge und, na klar, bis hin zu strategischen Fragen. Über die Jahre habe ich ein gutes Gefühl dafür entwickelt und auch meinen eigenen politischen Kompass daran ausgerichtet, manchmal im „Elfenbeinturm“ zu arbeiten, aber immer das Gespräch mit den Menschen zu suchen. Ich glaub, genau das braucht ein:e aufrichtige:r Politiker:in: Wissen um die politischen und parlamentarischen Strukturen und nie den Blick für das alltägliche Leben zu verlieren.
BTF: Gysi ist Freigeist aber noch immer das wichtigste Gesicht der Partei. Die Linke verfügt über eine stattliche Schar sehr kompetenter junger Politikerinnen. In einigen Jahren könnte die Frage aufkommen, wo die Männer in der Partei geblieben sind. Schlimm?
MTW: Sehr schlimm. Wenn ich in der Plenarsitzung des Sächsischen Landtags sitze, bin ich immer schwer irritiert über den doch so hohen Anteil von Frauen. Von allen Landtagsabgeordneten sind um die 70% Männer (*überwiegend aus etwas älteren Jahrgängen) und rund 30% Frauen. Wir machen das genau andersrum. Meine Fraktion setzt sich zusammen aus 65% Frauen und 35 % Männern. Dennoch bleibe ich irritiert, wenn ich in den Plenarsaal schaue.
BTF: Du bist direkt nach deinem Studium nach Brüssel gegangen, um für Lothar Bisky zu arbeiten. Als Pommernflüchtling landete dessen Familie in Westdeutschland. Die BRD verließ er als 18-jähriger 1959, mit der Begründung, auf Grund der finanziellen Möglichkeiten seiner Familie hier kein Abitur ablegen zu können. Er war am Ende der DDR Professor und Rektor der Filmhochschule Babelsberg und trat am 4. November 1989 mit einer Rede auf der größten Demo der Wendemonate (500.000 Demonstranten in Berlin) in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Eine spannende Person, die für dich nicht ganz unwichtig war. Bisky lebte zuletzt in Schildau (in der Nähe von Torgau), uns eher durch Events aus der ganz rechten Ecke bekannt. Magst du über deine Gedanken zu Lothar Bisky sprechen?
MTW: Ein ganz großer, der nicht nur mir persönlich fehlt, sondern vor allem auch der Partei. Er hatte immer etwas Versöhnliches und er war immer Mensch – nie verbissen, manchmal angenervt von den Prozessen, aber ein sehr weiser Mensch.
BTF: Die Linke macht auf bundespolitischer Ebene den Eindruck, eine sehr weibliche Partei zu sein. In der Fläche bestimmen aber Ortsverbände das Bild, die deutlich älter und weniger divers sind, als der Blick auf die Landes- oder Bundesebene suggeriert. Du bist stellvertretende Vorsitzende der sächsischen Landtagsfraktion und Beisitzerin im Bundesvorstand. In der letzten Legislaturperiode warst du Stadträtin in Roßwein. Wie unterscheidet sich die Arbeit auf lokaler Ebene zu der in Dresden, Berlin oder Brüssel?
MTW: Als ich in den Stadtrat von Roßwein gewählt wurde, sagte mir ein Ratsmitglied einer anderen Partei, dass es hier aber um die Belange der Stadt ginge. Im Nachgang sage ich, auch auf städtischer Ebene sollten die eigenen Grundsätze stimmen. Ein Beispiel sind die Elterngeldbeiträge für Kita und Hort. Jede Kommune in Sachsen wird sich auf die klammen Kassen bei der Erhebung der Elternbeiträge berufen. Aber diese setzen sich zusammen aus Landes-, Kommunal- und Elternbeiträgen. Wenn die Landespauschale erhöht würde, wäre dieses „Ausspielen“ vorbei. Und ich sage, frühkindliche Bildung darf nichts kosten. In Dresden, Berlin und Europa gibt es ähnliche parlamentarische Prozesse, aber überall eine andere politische Kultur. Mit Grünen und Sozen in Europa ist eine bessere Zusammenarbeit auf Augenhöhe möglich, in Berlin nur unter bestimmten Bedingungen und in Sachsen … naja, sächsische Verhältnisse eben.
BTF: Du bist Fußballfan und Sportpolitikerin. Dein Herz schlägt für die große BSG Chemie. Obwohl sich die BSG und ihre Fans ebenso klar positionieren wie der FC St. Pauli oder Babelsberg 03 bleibt ein Spannungsfeld zwischen Kommerz, Männlichkeitsritualen und Gruppendynamiken. Du hast dich anlässlich 30 Jahre Wiedervereinigung kritisch mit dem Standing ostdeutscher Traditionsvereine im gesamtdeutschen Profifußball befasst. Könnte es ein verlockender Gedanke sein, eine deiner Töchter in einem solchen Team professionell Fußball spielen zu sehen?
MTW: Also, da muss ich erstmal erwähnen, dass ich auch Fußball gespielt habe – beim RSL. Meine Girls sollen das machen, worauf sie Bock haben und Fußball zählt da nicht dazu – eher TikTok. Aber meine kleine Tochter war mit 3 Wochen beim Aufstiegsspiel der BSG dabei. Sie werden mit Fußball groß, auf welcher Ebene auch immer. Ich hatte als Girl immer das Problem, dass es ja bei uns auf dem Dorf keine Frauenmannschaften gab, dementsprechend nutzte ich den Bolzplatz. Ich sehe aber auch in den letzten Jahren viel Bewegung in den Strukturen, in der Fanszene, in einigen Vereinen, bei verschiedenen Themen – zum 01. Januar 2021 hat es der DFB endlich hinbekommen, eine Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt zu schaffen. Wichtig und richtig, Homophobie im Fußball ist ein Thema.
BTF: Die gute Partei Die Partei, hat sich in den letzten Jahren mit einem ganz eigenen Politikverständnis um die Aufklärung politischer Abläufe, strategischer Absprachen und Lobbyarbeit verdient gemacht. Mit einer gewissen Unparteilichkeit und über das Mittel der Satire erreicht Die Partei einen politisch engagierten Teil der Bevölkerung. Welche Gedanken machst du dir darüber?
MTW: Martin Sonneborn kenne ich ja aus Brüssel. Er hat mal im Kulturausschuss den ungarischen Kulturminister auseinandergenommen – sehr unterhaltsam. Ich fand die Partei amüsant, mittlerweile aber – und das passiert vielen neugegründeten Parteien in Europa – muss man über den Bedarf einer solchen Partei reden. Also, ja – immer besser als gar nicht wählen, aber was will man eigentlich? Am Ende zählt die Einstellung und eben nicht der Unterhaltungsfaktor.
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